Redebeiträge am 11.05.2020

Michael Backmund, Journalist und Mitglied der Deutschen JournalistInnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di

Jetzt werde ich Ihnen und Euch einen von uns recherchierten Bericht aus verschiedenen bayerischen Lagern für Geflüchtete und Asylbewerber*-innen vorlesen – zusammengestellt aus Interviews mit mehreren Zeugen, u.a. aus dem Wachpersonal der Unterkünfte. Der Bericht:

„Wir waren in den letzten 12 Tagen am Stück im Einsatz. Wir werden in verschiedenen Heimen eingesetzt: Im ersten wurden 30 von 190 Insassen Covid-19 positiv getestet. Sie haben Quarantäne für das ganze Lager verhängt. Der Spielplatz durfte von den Kindern nicht mehr benutzt werden.
Macht sich eigentlich irgendwer in der Politik, in den Medien oder in den Behörden Gedanken, was diese Quarantäne (also das Einsperren von gesunden Menschen) für die Betroffenen bedeutet: Sie können nicht an ihre Arbeitsstellen fahren, sie verlieren ihre Jobs, Jugendliche können nicht zu ihrer Lehre und verlieren ihre Ausbildungsplätze.

Niemand weiß bisher, wo die 30 positiv Getesteten hingekommen sind. In dieser Unterkunft hatten die Geflüchteten auch die Situation, dass sich Covid-19-positive Menschen und Gesunde ein Zimmer teilen mussten.


In einer anderen Sammelunterkunft, die auch unter Quarantäne steht, hatten bei einer Schwangeren bereits die Wehen eingesetzt: Sie konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten, trotzdem wollten die zur Hilfe gerufenen Rettungssanitäter sie zunächst nicht in die Klinik mitnehmen. Wir haben dann darauf bestanden und es auch durchgesetzt, dass die Schwangere sofort versorgt wird und danach in ein Krankenhaus gebracht wird.


Ein Bewohner ist seit Tagen in einem fürchterlichen psychischen Zustand, er bräuchte dringend psychologische Hilfe. Er ist akut selbstmordgefährdet und hat schon zweimal nachts ein Messer gezogen. Wir konnten ihn mit Mühe und Not beruhigen.
Ein Mitbewohner des Mannes hat dann die Polizei geholt, aber die Beamten haben nur gesagt, dass er erst nach der Quarantäne in die Psychiatrie kann.

Die Quarantäne war eigentlich bis gestern. Wurde dann aber erneut um drei Tage verlängert. Keiner weiß warum. Auch wir erhalten keine Informationen. Die eingesperrten Leute wollen raus, einige sind schon zeitweilig abgehauen.

In einer anderen Unterkunft ist die Situation noch angespannter. Dort dürfen wir als Wachpersonal nur noch mit einer Polizei-Schutzweste arbeiten, als Schutz vor möglichen Messerstichen.“

Soweit dieser erschütternde Bericht aus oberbayerischen Sammelunterkünften: Er beinhaltet mehrere Straftaten durch die Polizei und die verantwortlichen Behörden. Von Fällen der unterlassenen Hilfeleistung bis hin zu vorsätzlicher schwerer Körperverletzung, Nötigung etc.:
Ein psychisch kranker Mensch muss behandelt werden – ob er sich zwangsweise in Quarantäne befindet oder nicht.

Warum lesen wir solche Berichte nicht in den Zeitungen?
Warum berichten die großen Leitmedien außer einzelne Magazine wie Monitor nicht mehr über solche eklatanten Menschenrechtsverletzungen und behördlichen Straftaten?

Derzeit müssen alle Zeug*innen, mit denen wir sprechen konnten, anonym bleiben, weil sie zum Beispiel als Wachpersonal vom Arbeitgeber eine Verschwiegenheits-Erklärung unterschreiben mussten oder als Geflüchtete und Asylbewerber*innen auch unter Covid-19 von Abschiebung bedroht sind.

Wir werden diese Vorwürfe mit Menschenrechtsanwälten prüfen lassen und gegebenenfalls Anzeigen gegen die Verantwortlichen stellen.